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Brücken der Menschlichkeit bauen

Predigt von Bischof Benno Elbs beim Visitationsgottesdienst in Gisingen
am 15. Oktober 2017

Lesung: 1 Kor 3,6-10
Evangelium: Lk 14,12-14

Predigt im PDF_Format

Liebe Pfarrgemeinde von Gisingen!

Das heutige Erntedankfest und mein Pastoralbesuch bei euch laden uns ein, über die Bedeutung der christlichen Gemeinde nachzudenken. Es ist erst zwei Jahre her, dass ihr das 150-jährige Jubiläum der Errichtung eurer Pfarrkirche gefeiert habt. Dazu habt ihr eure Kirche renoviert und wieder für viele Jahre einladend gestaltet als einem Ort der Besinnung, des Gebetes und der Feier der Gottesdienste. Auch das lässt eine Stimmung von Erntedank aufkommen.

Wenn wir in die Welt schauen – heute und in den letzten Wochen – dann entdecken wir, dass es verschiedene Logiken und Denkweisen sind, die unseren Alltag bestimmen. Da ist einmal die Logik der Medien. Wir lesen in Zeitungen, wir surfen im Internet, wir zappen durch die Programme des Fernsehens und übernehmen von dort unsere Maßstäbe. Die Frage ist oft: Wie komme ich an? Wie werde ich gesehen?

Sogar ich selber poste jetzt auch auf Instagram, weil ich als Bischof, als Kirche die heutigen Kommunikationsmittel unserer Medienwelt nützen will und muss, um immer wieder auch etwas von der ansteckenden Botschaft Jesu auszustreuen, mit anderen zu teilen. Ich habe noch nicht so viele Follower wie Papst Franziskus, ich habe ja erst auf Instagram angefangen. Auf keinen Fall möchte ich ihm den ersten Platz streitig machen. Wir haben es in den Auseinandersetzungen im Vorfeld der heutigen Nationalratswahl gesehen, wie groß die Macht dieser Medien ist, wie hier auch Menschen beschädigt, verletzt, im Innersten gekränkt werden können.

Dann gibt es die Logik der Nützlichkeit, die uns Vorarlbergerinnen und Vorarlbergern gut bekannt ist. Sie schleicht sich oft unbemerkt in unser Leben ein, zum Beispiel mit der oft gehörten Frage, die manchmal auch wie ein Totschläger wirkt: Was bringt mir das? Oder da ist auch die Logik des Marktes, die uns prägt. Die Finanzmärkte haben tiefgreifende Auswirkungen auf Staaten und auf Menschen, auf Reichtum und auf Armut. Und da ist auch die Logik des Terrorismus, die unser Verhalten bestimmt. Die Anschläge, die da und dort immer wieder geschehen haben das eine Ziel, Menschen in Angst zu versetzten. Sie haben das Ziel, Misstrauen zu säen. Sie haben das Ziel, zu zerstören. Liebe Schwestern und Brüder, wir alle leben in und mit diesen Logiken und Denkmustern, und es hilft nicht weiter, darüber zu jammern. Das will ich auch gar nicht tun. Die Frage ist aber doch: Was kann eine christliche Gemeinde in dieser Welt, wie sie sich uns heute zeigt, tun? Welches Zeugnis kann, ja muss sie geben?

Gott ist mit uns verbunden

Erstens, glaube ich, eine christliche Gemeinde ist ein Zeugnis dafür, dass Gott jeden Augenblick unseres Lebens mit uns verbunden ist. Das ist ein Gedanke, den Frère Roger Schutz geprägt hat und den auch Papst Franziskus aufgenommen hat: Gott ist jeden Augenblick mit dir verbunden.

Wenn wir in die Welt schauen, dann haben wir den Eindruck, dass die Welt heute wenig Gottesbedarf hat. Aber die Menschen haben viele Sorgen. Glauben Menschen heute daran, dass sie diese Sorgen mit Gott lösen können? Der bekannte geistliche Schriftsteller Richard Rohr berichtet von einem Gespräch mit einem Einsiedler, der zu ihm gesagt habe: Herr Professor, wenn Sie Bücher schreiben, wenn Sie in aller Welt Vorträge halten, dann sagen Sie den Menschen vor allem eines: Gott ist nicht irgendwo fern, weit weg, draußen, sondern Gott ist mitten drin, er ist überall dort, wo Menschen leben. Und das, glaube ich, ist das Zentrale für unsere Gemeinde in Gisingen, dass wir Fährtenleserinnen und Fährtenleser dieser Spuren Gottes in unserem Leben werden.

Sehr beeindruckt hat mich der Brief eines Vaters, dessen Kind erst vor kurzem einen schweren Unfall hatte, bei dem dieser Jugendliche eine Hand verloren hat. Die Familie hatte mich daraufhin kontaktiert und habe dem Jungen einen Rosenkranz geschenkt. Der Vater berichtete mit großer Freude und Betroffenheit, dass sein Sohn oft diesen Rosenkranz in die Hand nimmt und ihn nachdenklich berührt. Er sah es als einen Hinweis darauf, dass Gott gerade auch in dieser so schweren Situation des Lebens da ist, in der ein junger Mensch sich damit zurecht finden muss, mit einer Behinderung zu leben.

Dankbarkeit führt zu Gott

Ein Zweites: Eine christliche Gemeinde ist ein Ort der Dankbarkeit. Was führt Menschen zu Gott, haben sich die großen Mystiker und Ordensgründer immer wieder gefragt. Eine Hauptstraße in das Geheimnis Gottes ist die Dankbarkeit. Ein Mensch, der dankbar ist, spürt und weiß, es gibt Größeres als mich selbst. Ein dankbarer Mensch weiß, dass er ein Beschenkter ist: das Geschenk des Lebens, die Gesundheit, die Beziehungen, die uns stützen. Dankbarkeit und die Achtsamkeit auf diese Geschenke des Lebens sind das, was Menschen im Innersten zu religiösen Menschen macht. Gerade das Erntedankfest lädt uns neu zu dieser Haltung ein. Die Mutter Erde, von der wir ein Teil sind, wie Papst Franziskus sagt, schenkt uns die Gaben, die wir zum Leben brauchen. Und das Erntedankfest lädt uns ein, hier Danke zu sagen.

Und ich glaube, es ist auch wichtig, diese Haltung in unsere Familien zu tragen. Das Tischgebet, zum Beispiel vor einem Essen oder nach einem Essen, ist immer wieder ein kleines Erntedankfest, ein kleines Danke an Gott, den Schöpfer. Eine Familie, die diese Haltung der Dankbarkeit lebt und dies auch zeigt in dieser kleinen Geste des Tischgebetes, strahlt etwas aus von dieser großen Zuwendung Gottes an unser Leben. Ein beeindruckendes Beispiel von Dankbarkeit habe ich heuer im Frühjahr erlebt. Das Haus einer Familie in Hohenems war abgebrannt und diese Familie hat von vielen Menschen Hilfe und Solidarität erfahren. Der Vater hat mir erzählt, das Wichtigste für sie sei nicht das Geld gewesen, die materielle Unterstützung, um die sie natürlich auch sehr froh waren. Das Wichtigste aber war für sie, dass Menschen da waren, die Anteil genommen haben, die Zuwendung gezeigt haben, mit dem Herzen gegeben haben, Solidarität gezeigt haben. Dafür waren sie besonders dankbar. Ja, ich glaube, eine christliche Gemeinde ist ein Ort der Dankbarkeit und aus dieser Haltung wachsen Solidarität und Nächstenliebe.

Sich gemeinsam freuen

Und drittens glaube ich, eine christliche Gemeinde ist ein Ort des gemeinsamen Feierns und der gemeinsamen Freude. Viele Menschen machen heute die Erfahrung, dass die Welt kälter geworden ist. Besonders auch junge Menschen drücken das immer wieder in Gesprächen und bei Diskussionsrunden aus. Sie haben manchmal nicht das Gefühl, mit ihrem Weg und dem, was sie beschäftigt, verstanden und getragen zu sein. Ich glaube, eine christliche Gemeinde ist ein Ort, wo diese Haltung der Menschlichkeit im Zentrum steht. Papst Franziskus umschreibt diese Haltung mit den Worten: „Gott wird nie müde, die Tür seines Herzens offen zu halten.“

Was aber sind diese Pfeiler, die eine Brücke der Menschlichkeit bauen? Bischof Joachim Wanke hat die sieben Werke der Barmherzigkeit sehr treffend und prägnant für unsere moderne Zeit übersetzt. Sie heißen: Du gehörst dazu. Ich höre dir zu. Ich rede gut über dich. Ich geh ein Stück mit dir. Ich teile mit dir. Ich besuche sich. Ich bete für dich.

Ich glaube, eine Gemeinde, die auf diese Pfeiler gebaut ist, auf denen die Brücke der Menschlichkeit steht, wird auch ein Ort der Freude sein, weil es sich lohnt, hier zu leben. Sie wird auch ein Ort des gemeinsamen Feierns sein. Eine Brücke entsteht nur, wenn wir gemeinsam unterwegs sind – im Alltag, bei der Arbeit, in der Schule, in der Freizeit, im Gottesdienst, in der sonntäglichen Eucharistie oder in anderen Formen des Gottesdienstes. Wer glaubt, ist nie allein, ja ich meine sogar, alleine kann man auf Dauer nicht Christ sein.

Liebe Schwestern und Brüder!

Ich wünsche uns allen, dass diese Logik einer christlichen Gemeinde unser Leben prägt: _ dass wir ein Ort sind, wo Menschen erfahren dürfen, dass Gott jeden Augenblick unseres Lebens mit uns verbunden ist;

_ dass wir eine Gemeinschaft der Dankbarkeit sind, dass wir uns immer wieder dankend vor Gott stellen im Gottesdienst, als Familie im Tischgebet und aus dieser Dankbarkeit heraus solidarisch und respektvoll und in Nächstenliebe miteinander leben;

_ dass wir getragen werden von einem positiven Miteinander und von einer gemeinsamen Feier, einer Feier, die mich trägt, wenn ich einmal schwach bin, und wo ich der oder die Tragende bin, wenn andere es brauchen. In diesem Sinne bitte ich Gott um den Segen für eure Gemeinde.

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