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Gibt es das Fegefeuer wirklich?

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
In der Mitte eines kirchlichen Friedhofes steht normalerweise ein großes Kreuz. Bei uns ist es integriert ins Kriegerdenkmal. Schützend und bergend hält der gekreuzigte Jesus seine Arme über alle Gräber auf dem Friedhof und darüber hinaus auch über die Gräber jener Verstorbenen, die keine geweihte Stätte für ihren Leib gefunden haben. Jesus hat aus Liebe zu uns am Kreuz alle unsere Schuld wiedergutgemacht; er hat damit die Sünde in Gnade verwandelt. Diese Gnade wird für unsere Verstorbenen wirksam durch unsere Gebete und durch unser Opfer.

Heute feiern wir das Fest aller Heiligen im Himmel. Die Heiligen waren in ihrem Leben hier auf Erden ganz erfüllt von Gott, erfüllt von der Liebe zu Gott und den Mitmenschen. Jetzt schon und am morgigen Allerseelentag feiern wir das Gedächtnis unserer lieben Verstorbenen; wir beten dabei vor allem für jene unter ihnen, die in ihrem Leben noch nicht zur vollkommenen Heiligkeit gelangt sind, sondern mit so machen Sünden behaftet in die Ewigkeit hinübergegangen sind ohne sich jedoch von Gott getrennt zu haben. Der Herr wird ihnen nach einer Zeit der Reinigung, die wir Fegefeuer nennen, die Krone des Ewigen Lebens schenken.

Fegefeuer – ist der Gedanke an ein Fegefeuer nicht längst überholt? Wozu ist denn das Fegefeuer überhaupt nötig? Wozu?
Wer aus der Dunkelheit in das helle Sonnenlicht gerät, dem wird zunächst schwarz vor den Augen; dessen Augenlicht muss sich erst langsam an die strahlende Sonne gewöhnen. Das ist im Ewigen Leben nicht anders: Wer nach seinem Tode aus dieser Welt in das strahlende Licht Gottes kommt aber auch in das Dunkel der Sünde verstrickt war, dem wird schwarz vor den Augen; der muss sich erst langsam und mühsam an das überwältigende Licht der Liebe Gottes gewöhnen. Das nennen wir „Fegefeuer“.

Und hier können wir durch unser Gebet unseren Verstorbenen helfen, dass ihnen die Augen für die Herrlichkeit der Liebe Gottes aufgehen, ohne von ihr geblendet zu werden.

Das Bildwort vom „Fegefeuer“ kommt vom brennenden Schmerz“ der uns zum Beispiel überfällt, wenn wir uns erinnern, wie wir einmal einen lieben Menschen im Stich gelassen haben. Auch uns könnte es so ergehen in der großen Begegnung mit Christus – allerdings: „in dem Schmerz dieser Begegnung, in der uns das Unreine und Kranke unseres Daseins offenbar wird, ist Rettung. Sein Blick, die Berührung seines Herzens heilt uns in einer gewiss schmerzlichen Verwandlung, wie durch Feuer hindurch“, sagt Papst Benedikt einmal

Das Fegefeuer ist in diesem Sinn ein „Ort“ –eigentlich ist es kein Ort, sondern ein Zustand, aber ich nenne es jetzt einmal „Ort“- das Fegefeuer ist letzten Endes ein Ort der Barmherzigkeit Gottes. Warum? Weil sich im Himmel niemand wohl fühlen kann, der noch nicht ganz heilig ist. Genauso wie ich mich in einer noblen Gesellschaft nur mit sauberer Kleidung wohl fühle, so kann ich mich im Himmel auch nur wohl fühlen, wenn ich von all meiner Sünde gereinigt bin; dazu dient das Fegefeuer: die Verstorbenen von aller noch vorhandenen Schuld zu reinigen und dadurch bereit zu machen für den Himmel.

In der Kirche war und ist der Glaube an das Fegefeuer immer ganz lebendig. Noch heute lassen nicht wenige Gläubige nach einem Todesfall Hl. Messen für einen Verstorbenen feiern; warum tun wir das? Wir tun es, damit unser lieber Verstorbener durch die Vergegenwärtigung des Erlösertodes Christi in der Hl. Messe befreit werde von aller noch vorhandener Schuld; damit er sich wohl fühlen kann, wenn Gott ihn in sein Reich der ewigen Glückseligkeit aufnimmt.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus! Wir werden auch heute wieder hier auf den Friedhof die Gräber unserer lieben Verstorbenen segnen. Welcher Sinn steckt dahinter? Wir lassen unsere Gräber segnen, weil sie die sterblichen Überreste unserer Verstorbenen bergen, die noch zu etwas Großem bestimmt sind. Auch die Leiber der Verstorbenen sind für das Heil bei Gott im Himmel bestimmt; ja, am jüngsten Tag wird unser je eigener Leib, der Leib von uns allen, auferstehen und wieder vereint werden mit unserer Seele.

Der heutige Tag lädt uns schließlich ein, uns unserer eigenen Sterblichkeit neu bewusst zu werden. Auch wenn uns dieser Gedanke spontan bedrückt so erfüllt uns dennoch eine noch größere Zuversicht angesichts der frohen Botschaft, die Christus uns geschenkt hat: „Ich bin die Auferstehung und das Leben: wer an mich glaubt, wird leben, auch wen er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben“. Amen.

P. Johann Fenninger FSO

 

Quelle: Joachim Kardinal Meisner; Papst Benedikt XVI.