Glaube und Gefühl. Predigt am 1. Juni

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Predigt am Herz Jesu Freitag, 1. Juni 2018

P. Peter Willi

Man hört immer wieder, dass wir in einer Erlebnis- und Spaßgesellschaft leben. Das Arbeitsleben und das Zusammenleben werden vielfach als langweilig und eintönig erfahren und so verlangt man nach stimmungsvollen Erfahrungen und Events. Der Mensch sucht die Ekstase, die kleinere oder größere Ekstase, d.h. das starke Erlebnis, das einen Genuss bietet für die Augen, für die Ohren, für die Nase, für den Geist, für die Gefühle. Wer mit der Erwartung an die Messe und die Liturgie der katholischen Kirche herangeht, dass ihm da ein tolles Erlebnis geboten wird, der wird oft enttäuscht. Die Gottesdienste der evangelikalen Freikirchen bieten diesbezüglich im allgemeinen wesentlich mehr. Viele Menschen sagen auch: Die Messe ist langweilig. Wenn die Kirche den Jugendlichen nicht Besseres bieten kann, darf sie sich nicht wundern, dass sie nicht mehr kommen. Solche Argumentation ist zu kurz gegriffen.

Wer zum Eigentlichen der Messe vordringen will, muss eine längere Zeit durchhalten. Er muss durchhalten wie jemand, der eine Sprache oder ein Musikinstrument lernen will. Das Große, das bei der Messe geschieht, vollzieht sich in aller Stille, selbst in einem Gottesdienst, wo 5000 Jugendliche beisammen sind und ihr begeisterter Gesang das Gemüt stark erfasst. Solche Gottesdienste sind gut, aber nicht der Normalfall. Bei der Messe erneuert sich auf unblutige Weise die Hingabe Jesu Christi am Kreuz als ein Werk vollkommenster, reinster und höchster Liebe. Diese Lebenshingabe Jesu bei der Messe vollzieht sich in keinem noch so bewegenden evangelikalen Gottesdienst. In der Messe empfangen wir den Leib Christi, den die Gläubigen in keinem evangelischen Gottesdienst empfangen, wo sie tatsächlich nur ein Stück Brot empfangen. Die Wesensverwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Brot Christi vollzieht sich im evangelischen Abendmahl nicht. Und im Sakrament des Altares bleibt diese Liebe des Herzens Jesu auf intensivste Weise unter uns gegenwärtig.

Der Zugang zum Tiefsten der Messe ist dem Menschen möglich, der glaubt. Und der Glaube ist in sich nicht Sache des Gefühls und des Erlebnisses, sondern des Willens und des demütigen Geistes. Mutter Julia Verhaeghe sagte einmal: „Die Eucharistie ist ein sichtbares Zeichen der Liebe Jesu und darum mit unseren Sinnen fühlbar und tastbar. Die eigentliche Liebesfrucht dieses Sakramentes wird mit dem Willen empfangen. Da der Wille ein höheres Vermögen ist, kann die Kommunion ohne Gefühle und doch in vollkommener Liebe empfangen werden.“

Die Liebe Jesu Christi am Kreuz ist in der Eucharistie und bei der eucharistischen Anbetung wahrhaft unter uns gegenwärtig. Auf der einen Seite können wir sie nicht sehen, – Liebe kann man nicht „sehen“ – auf der anderen Seite ist sie „sichtbar und berührbar“, weil sie in der Gestalt des Brotes wirklich da ist. Diese Liebe Jesu berührt manchmal die Welt unserer Gefühle und Stimmungen, sehr oft aber nicht. Auch dann, wenn wir nichts fühlen, wenn wir vielleicht müde, zerstreut, zerfahren, mit Sorgen erfüllt oder von einem Leid bedrückt sind, empfangen wir die große Liebe Jesu Christi, die menschlich und göttlich ist, und die wir an jedem Herz Jesu Freitag in besonderer Weise anbeten und ehren.

Wer bereit ist, seinen Glauben zu leben, ohne dies von guten Stimmungen und Gefühlen abhängig zu machen, der macht Fortschritte im Glauben und in der Gottesliebe. Wer die Frage „Was bringt mir das alles?“, nicht stellt, und Gott die Ehre gibt und ihm die Liebe schenkt in der Bereitschaft „Jesus, jetzt bin ich für dich da“, der dringt ein in die eigentliche Welt Gottes, in die Welt des Glaubens und der Liebe. Wer mit Glauben und regelmäßig den Gottesdienst mitfeiert, in einem solchen Menschen wächst eine Anziehungskraft zur Eucharistie, die ihn nicht mehr loslässt.

In diesem treuen Durchhalten können wir von Jesus selbst sehr viel lernen. Die größte Tat seines Lebens, die Erlösung der Menschen, geschah nicht durch ein tolles Erlebnis, sondern im Zeichen von unfassbar großem Schmerz und äußerster Ohnmacht. Wenn Jesus Christus, der Sohn Gottes, bereit war, um unserer Erlösung willen durch ein Meer von Leiden zu gehen, sollten dann nicht auch wir bereit sein, die Liebe Jesu zu beantworten, auch wenn wir sie oft gar nicht spüren. Wenn der Herr unser Herz berührt in der Weise, sodass wir seine Liebe fühlen, dann werden wir dafür dankbar sein.

Treue ist Liebe, die nicht gute Gefühle und Stimmungen fordert. Weder die Nächstenliebe noch die Gottesliebe will „genießen“, aber sowohl die Nächstenliebe als auch die Gottesliebe werden reichlich belohnt. Amen.