Predigt bei der Christmette 2025 von Diakon Kilian Deppisch FSO
Liebe Brüder und Schwestern,
vor ungefähr drei Stunden hat Papst Franziskus etwas gemacht, das nicht alle Päpste in ihrem Leben gemacht haben. Er hat in einer feierlichen liturgischen Zeremonie eine bestimmte Türe geöffnet, die normalerweise 25 Jahre verschlossen ist: die Heilige Pforte. Die Heilige Pforte ist eine von den fünf Eingangstoren der vier päpstlichen Basiliken. Wenn der Papst die Heilige Pforte in Rom im Petersdom öffnet, bedeutet das: ein Heiliges Jahr beginnt. Die Heilige Pforte will in diesem Jahr zeigen, dass nun das Herz Gottes offen steht. Die Tür des Himmels hat sich weit geöffnet.
Aber was ist mit den normalerweise 25 Jahren, in denen die Hl. Pforte des Petersdoms zugemauert ist? Sind dann in diesen Jahren die Pforten des Himmels auch verschlossen?
Die 25 Jahre zeigen, dass der Himmel für uns lange verschlossen war. 25 Jahre dauert klassischer Weise eine Generation. Jede Generation erlebt in diesen 25 Jahren also das, wovon die Bibel am Anfang spricht: wegen der Sünde wurde der Mensch aus dem Paradies geworfen. Nachdem Adam und Eva nicht auf Gott gehört haben, verließen sie diesen Garten Eden. Die Tür des Paradieses war also verschlossen, weil die Menschen gesagt haben: Ich kann mir selbst mein eigenes Paradies machen. Ich kann auch ohne Gott glücklich werden. Und wie hat Gott reagiert? Sein Herz hat darunter gelitten, dass der Mensch ihn verlassen hat. Denn er hat praktisch gesagt: Mein Herz schlägt sehnsüchtig für dich, denn ich lieb’ dich inniglich!
Das ganze Alte Testament erzählt, wie Gott versucht hat, den Menschen einzuladen ins Paradies zu Ihm zurück zu kommen: er hat in Noah die ganze Schöpfung vor dem Verfall und dem Bösen gerettet; er hat sich dem Abraham, den Vater der Völker, gezeigt und mitgeteilt und durch ihn allen Menschen; durch Mose hat er gesagt: ich will, dass ihr frei seid! Ich will nicht, dass ihr von etwas Bösem beherrscht und versklavt werdet. Und über Jahrhunderte hat er immer wieder Propheten geschickt, die den Menschen die Botschaft Gottes brachten: „Ich liebe dich mehr, als der beste Vater, die beste Mutter auf Erden dich lieben kann. Ich lasse dich nicht allein. Komm zu mir zurück. Mein Herz schlägt sehnsüchtig für dich, denn ich lieb’ dich inniglich!
Gott wollte also zeigen, dass er jeden einzelnen liebt, dass er wirklich liebt – dass er uns noch viel mehr liebt, als wir Menschen lieben. Denn unsere menschliche Liebe ist oft schwach. Sie ist manchmal so wie bei einem Jungen, der seiner angebeteten Freundin auf WhatsApp schrieb: Schatz, ich liebe dich so sehr. Ich würde für dich auf den Mount Everest steigen. Ich liebe dich so sehr. Ich würde für dich einmal um die ganze Welt reisen. Ich liebe dich so sehr. Ich würde für dich einmal durch den Ozean schwimmen. Ich kann es kaum erwarten, dich wieder zusehen. PS: am Sonntag komm ich dich besuchen – wenn es nicht regnet.
Jetzt an Weihnachten feiern wir, dass es Gott nicht gereicht hat, zu uns zu sprechen durch Noah, Abraham, Mose und die vielen Propheten. Er hat gesagt: „Jetzt will ich selber zum Menschen kommen. Ich will ihm meine Liebe beweisen. Ich liebe dich so sehr, dass ich es sozusagen nicht mehr aushalte im Himmel nur noch zuzuschauen und vom Himmel aus mit dir zu sprechen. Jetzt komme ich selbst, lebe mit dir und spreche mit dir. Denn mein Herz schlägt sehnsüchtig für dich, denn ich lieb’ dich inniglich!
Ziemlich genau 700 Jahr davor hat der Prophet Jesaja die Geburt Jesu vorausgesagt, u.a. so wie wir es in der ersten Lesung gehört haben. Und er sagte auch, warum es Gott auf die Erde getrieben hat: „Der Eifer des Herrn […] wird das vollbringen“. Gottes leidenschaftliche Sehnsucht nach dem Menschen treibt ihn auf die Erde. Gott kann es nicht mehr ansehen, dass der Menschen vergeblich versucht, sich selbst zu erlösen, d.h. sich selbst glücklich zu machen. Mit Weihnachten hat Gott uns gezeigt und gesagt: „Ich habe ein Herz – so wie du. Ein Herz, das liebt. Ich habe ein Herz, das verletzt wurde, weil meine Liebe nicht beantwortet wurde. Ich wurde alleine gelassen.“ Und so kam es wirklich: in seiner angsterfüllten Stunde wurde Jesus im Garten Getsemani von allen alleine gelassen. Doch deswegen hat er sich nicht zurückgezogen, sondern er liebt weiter, weil wir ihm nicht egal sind. Er will lieber leiden, als dass wir seine Liebe nicht spüren können.
Doch ist das nicht alles jetzt Vergangenheit? Wenn Jesus nicht mehr auf der Erde lebt, wo ist er wenn ich ihn brauche?
Ein Arzt sagte einmal bei einem Spaziergang zu seinem Kind: Hoi, luag a mol, do isch a Kircha, do wohnt Jesus. Da antwortete das Kind: Aber Papa. Du hasch ma do gseid, Jesus wohnt im Himml. Wieso seischt du iatz er wohnt in da Kircha. Nachdem der Arzt selbst überlegen musste, sagte plötzlich sein Kind: ah, iatz woas I’s. Im Himml isch sine Wohnung, in der Kircha isch sine Ordination.
Eines der letzten Worte Jesu ist: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20).
Und damit er das kann, hat er eine Form gewählt, die noch demütiger ist als ein Kind in der Krippe. Er ist für uns eine Nahrung geworden wie Brot, damit er wirklich … in uns kommen kann. Von dieser Speise, diesem Mahl, das der Hl. Messe gegenwärtig wird, sagte er: Mit großer Sehnsucht habe ich danach verlangt […] dieses […] Mahl mit euch zu essen. Mit großer Sehnsucht habe ich danach verlangt […] dieses […] Mahl mit euch zu essen (Lk 2,15).
Hier in Gisingen können wir durch den Glockenklang etwas von der Sehnsucht Gottes wahrnehmen. Denn jeden Sonntag, wenn Jesus in der Hl. Messe bei der Wandlung in die Hostie herabsteigt, hört es sich an, als ob wir seinen Herzschlag wahrnehmen. Wenn die Glocke anfängt im Holzgebälk des Turmes zu schwingen und zu schlagen, ist es als ob wir erleben können, wie Gottes Herz schlägt, wie sein Eifer neu auflebt. Dann ist es, wie wenn seine Leidenschaft ausbricht und er durch die Glocke zu allen ruft: Mein Herz schlägt sehnsüchtig für dich, mein Herz schlägt sehnsüchtig für dich, denn ich lieb’ dich inniglich! Komm zu mir, nach dir habe ich Verlangen! Ich wünsche mir nichts mehr als dich. Was könnte ich noch für dich tun? Ich bin für dich ein Mensch geworden. Ich bin geworden wie du, damit du wirst wie ich! Ewig und vollkommen glücklich. Ich habe mit dir und für dich gelitten, damit du siehst, wie sehr ich dich liebe. Ich bin für dich am Kreuz gestorben. Ich bin für dich von den Toten auferstanden, damit du Hoffnung hast. Ich habe keine größere Leidenschaft als dich. Ich bin bei dir.
Immer wenn man die Glocke hört, ist ein Moment, in dem Gottes Herz quasi höher schlägt: wenn jemand gestorben ist und zu ihm kommt oder wenn er seine Gnade schenkt wie bei der Hl. Messe, wenn er sagt: Jetzt komme ich für dich vom Himmel hinunter, um bei dir zu sein.
Das feiern wir an Weihnachten: Wir müssen nicht mehr versuchen, was nicht funktioniert hat: Uns selbst zu erlösen! Mit dem Kommen Jesu ist es vorbei mit dieser hoffnungslosen Suche nach Frieden und Erlösung. Endlich ist einer gekommen, der uns wirklich geben kann, was wir zutiefst suchen: Frieden, Erlösung und Erfüllung die bleibt. Deswegen sagt der Engel, was durch 2000 Jahre weitergegeben wurde: „Ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zu Teil werden soll. Heute ist euch […] der Retter geboren, er ist der Christus, der Herr“ (Lk 2,10). Alle sollen es wissen!
Deswegen schenkt der Glaube uns Hoffnung – eine Hoffnung zum weiter schenken. Und das Heilige Jahr hat genau dieses Thema: „Pilger der Hoffnung“. Es geht darum, wieder neu diese Hoffnung zu entdecken, die der menschgewordene Gott ist: Jesus Christus. Wenn wir – z.B. durch eine der heiligen Pforten im Ländle gehen – im Kloster St. Peter in Bludenz oder in den Basiliken in Rankweil und Bildstein, dann ist es, als ob wir zu Gott gehen, in sein Haus – in sein Herz. Denn die Tür seines Herzens, die Tür des Paradieses, ist durch Jesus wieder offen für alle Generationen. Alle Generationen können erleben, dass Gott sein Herz weit aufgerissen hat für uns. Daran erinnern uns die Glocken (2x). Denn es ist, als ob Gott jeden einlädt, der die Glocken hört: Komm! Mein Herz schlägt sehnsüchtig für dich, denn ich lieb’ dich inniglich!
Predigt von P. Peter Willi am 25. Dezember 2024
Der berühmte russische Schriftsteller Leo Tolstoi schrieb folgende Erzählung: „Es war einmal ein Herrscher, der viel erlebt hatte. Nun wollte er unbedingt Gott sehen. Und weil er ein strenger Herrscher war, befahl er seinen Priestern und Weisen, ihm innerhalb einer festgelegten Frist diesen Wunsch zu erfüllen. Doch selbst der Weiseste unter ihnen vermochte dies nicht. Und so erwartete man voll Bangen die Strafe, die der König aussprechen würde. Da kam ein Hirte vom Feld, der von des Königs Befehl gehört hatte, und sagte: „Erlaube mir, König, deinen Wunsch zu erfüllen“. „Gut“; entgegnete der König, „aber bedenke, es geht um deinen Kopf.“
Der Hirte führte den König auf einen freien Platz und zeigte ihm die Sonne. „Sieh hin“, sagte er. Der König hob seine Augen und wollte in die Sonne schauen. Aber der Glanz blendete ihn, und er musste den Kopf senken und die Augen schließen. „Willst du, dass ich erblinde?“, fragte er verärgert den Hirten. „Aber König, das ist doch nur ein kleiner Teil der Schöpfung, ein schwacher Abglanz der Größe Gottes, ein kleines Fünkchen eines flammenden Feuers. Wie willst du mit deinen schwachen, tränenden Augen Gott sehen? Such ihn mit anderen Augen.“
Der Einfall gefiel dem König. Er sagte zum Hirten: „Ich erkenne deinen Geist und sehe die Größe deiner Seele. Antworte nun: „Was war vor Gott?“ Nach einigem Nachdenken meinte der Hirte: „Bitte, mein König, werde nicht zornig, aber beginne zu zählen!“ Entschlossen sprach der König: „Eins, zwei…“ „Nein“, unterbrach ihn der Hirte, „nicht so, fang mit dem an, was vor eins kommt!“ „Wie kann ich denn? Vor eins gibt es doch nichts.“ „Sehr weise gesprochen, mein Herr! Auch vor Gott existiert nichts.“
Diese Antwort gefiel dem König noch besser als die erste. „Ich werde dich reich beschenken, zuvor aber beantworte mir noch eine dritte Frage: „Was macht Gott?“ Der Hirte sah, dass sich des Königs Herz geöffnet hatte, und sagte: „Gut, auch darauf will ich dir antworten. Nur um eines bitte ich dich: Lass uns für kurze Zeit die Kleider tauschen.“ Der König willigte erstaunt ein, und sie wechselten die Kleider. Da sprach der Hirt schlicht und feierlich: „Das macht Gott! Er stieg vom Thron seiner Erhabenheit und wurde einer von uns. Er gibt uns, was Er hat, und nimmt das an, was wir haben und sind.“
Gott stieg vom Thron seiner Erhabenheit und wurde einer von uns. Das ist die Botschaft von Weihnachten. Der unsichtbare Gott hat sich sichtbar gemacht, der unsterbliche Gott wurde ein sterblicher Mensch; der allmächtige Gott, der alles erschaffen hat, wurde hilflos und ganz angewiesen auf die Hilfe von Maria und Josef; der ewige Gott kam in unsere Zeit und lebte unter uns 33 Jahre lang und starb so jung; der große Gott wurde ganz klein. Großer Gott, wir loben dich, kleiner Gott, wir lieben dich. Wenn wir uns davon berühren lassen, dann werden wir das tun, was die Hirten und die Weisen tun: Wir werden vor dem Sohne Gottes, der als Kind in der Krippe liegt, niederfallen und anbeten. Die große Botschaft von Weihnachten für alle Menschen lautet. Du bist von Gott geliebt. Von Ewigkeit her bist du von Gott geliebt. Gott liebt auch die bösesten Menschen, er liebt die Mörder, die geldgierigsten Menschen, die Ausbeuter. Er liebt nicht ihre bösen Taten, aber ihre unsterbliche Seele. Die bösesten Menschen werden sich ändern, wenn sie sich der Liebe Gottes öffnen und sich von der Liebe Gottes berühren lassen würden. Die Liebe Gottes hat die Kraft, alle Menschen gut zu machen, alle Menschen zu heilen, alle Menschen vollkommen zu machen. Der heilige Paulus hat es uns in der Lesung gesagt: Durch seine Gnade werden wir gerecht (vgl. Tit 3,7), d.h. durch sein Erbarmen, nicht durch unsere Leistungen kann jeder Mensch schuldlos und heilig vor Gott stehen, wenn er die Liebe Gottes und sein Erbarmen annimmt.
Aber wie geht das: Sich von Gott lieben zu lassen? Ich gebe zwei Antworten: Die erste Antwort: Sich von Gott lieben lassen heißt sich Gott öffnen. Das ist möglich, das ist jedem Menschen möglich. Das Problem aller Übel in der Welt ist das für die Liebe Gottes verschlossene menschliche Herz. Gott klopft an das Herz von jedem. Er hört nicht auf, an dieses Herz zu klopfen. Es gibt wunderbare Geschichten von Menschen, die die Türen ihres Herzens für Gott geöffnet haben, auf vielen Wegen und auf verschiedene Weisen. Gestern Abend, an der Schwelle der Heiligen Nacht, hat der Papst die Heilige Pforte von St. Peter in Rom geöffnet. Das Heilige Jahr hat begonnen. Der Ruf dieses Jahres lautet: Tu auf die Türen deines Herzens, immer mehr, immer weiter. Tu auf die Türen deines Denkens für Gott, immer mehr, immer weiter. Tu auf die Türen deines Lebens, immer mehr, immer weiter. Gott will heilen und gut machen. Er klopft an deine Türen: Öffne sie mit deinem freien Willen.
Das Öffnen der Türen des Herzens kann so unglaublich schwer sein und es ist doch so einfach. Der König in der Geschichte von Leo Tolstoi hat es geschafft, weil er zur Demut bereit war. Und so konnte er Gott schauen. In seinem Leben als König konnte er sich alles leisten. Aber eines hat ihm noch gefehlt: Das Schauen Gottes. Alles hat er gehabt, nur Gott nicht. Alle Dinge dieser Welt konnten seine Sehnsucht nicht stillen. Wer Gottes Liebe nicht kennt, ist arm. Das spürte der König. Deshalb wollte er unbedingt Gott sehen. Weil er demütig geworden war, konnte er Gott sehen. Wer aufhört, alles von oben herunter, vom Sockel seines Hochmutes, zu beurteilen, alles besser zu wissen, alles zu hinterfragen, wer damit aufhört, der darf Gott sehen, Gott erkennen, Gott lieben. Demut gehört zum Kern des Christentums.
Und so möchte ich vor der Krippe hinknien und beten: Großer Gott, wir loben dich, kleiner Gott wir lieben dich. Du bist ein Kind geworden, um es uns leicht zu machen, uns von deiner zarten und wunderbaren Liebe berühren zu lassen und unsere Herzen für dich zu öffnen. Wir brauchen keine Angst vor dir zu haben. Wir dürfen dir ganz vertrauen. In diesem Heiligen Jahr, in diesem besonderen Jahr der Heilung und Heiligung, wollen wir uns demütig ganz für dich öffnen. Lass uns Freude und Erfüllung finden in der Liebe deines Herzens. Wenn wir dich gefunden haben, haben wir alles gefunden. Wenn wir dich gefunden haben, werden wir einst in den Himmel einziehen. Amen.